Wie Carnuntum zum Vorbild eines archäologischen Erlebnisparks wird

Gladiatoren und Legionäre, Händler und Handwerker, Gelehrte und Priester bevölkerten vor zweitausend Jahren die Straßen und Plätze der antiken Metropole. Heute ist Carnuntum, auf halber Strecke von Wien nach Bratislavav, ein gigantisches Ruinenfeld. Doch einmal im Jahr blüht jene Epoche, in der Carnuntum Kommandositz der römischen Donauflotte war und fast 60 000 Einwohner zählte, wieder auf.  

Denn wenn Matthias Pacher, der junge Marketingleiter des „Archäologischen Parks Carnuntum“, zum „Großen Carnuntiner Römerfest“ ruft, setzen sich im ungarischen Szombathely, im oberösterreichischen Pram oder im rheinland-pfälzischen Bitburg ganze Kolonnen von Last- und Privatwagen in Bewegung. Und nach bis zu vierzehn Stunden Fahrt verwandeln sich Altenpfleger, Computerfachleute, Studentinnen und Kosmetikerinnen für ein Wochenende in Signalbläser, Reitersoldaten, Freudenmädchen oder Priesterinnen. Übernachtet wird im Zelt, gegessen am Lagerfeuer. Es gibt echt römischen „Puls“ – eine Art Eintopf aus gehackten Zwiebeln, geschrotetem Saatweizen, Lauch, Speck und Rindfleisch, dazu Keltenringe, Mostsemmeln oder Olivenbrote, die Bäckermeister Karl Bosser nach antiken Rezepten fabriziert hat. Die Tage kosten Kraft: Michael Theren, der aus dem Jerichower Land angereist ist, glänzt beim „Großen Carnuntiner Römerfest“ mit spektakulären Pferde-Stunts. Und Wolfgang Huber aus Oberbayern, einer der Gladiatoren, hofft, daß er die diversen Vorführungen ohne ernstere Blessuren übersteht.  

Carnuntum, das „Pompeji vor den Toren Wiens“ ist für dieses Spektakel eine denkbar geeignete Kulisse. Denn als herausragendes Beispiel einer „wiedererweckten“ römischen Erlebniswelt hat es sich internatonal einen Namen gemacht: Mit Millionenaufwand wird ein Gebäude nach dem anderen detailgetreu rekonstruiert, um die Epoche der Römer für die Menschen von heute greifbar und begehbar zu machen. Es ist eine Welt ohne Kühlschrank, Handys und eMails. Und doch schafft diese Atmospphäre, gerade in Zeiten der Globalisierung, Identität: Wo der mitteleuropäische Weinbau seine Ursprünge hat, wie die Fußbodenheizung in unsere winterkalten Gefilde gekommen ist – in Carnuntum werden solche Fragen beantwortet.  

Freilich, das „Große Carnuntiner Römerfest“ ist für manche auch eine Form des Eskapismus. Aber dem schnöden Alltag entkommen die Teilnehmer des „Großen Carnuntiner Römerfestes“ ohnehin nicht: Nach einem Wochenende als Centurio oder Marketenderin wird abgeschminkt und eingepackt. Jetzt warten wieder die Herausforderungen der Gegenwart: Baustellen auf der Autobahn, fallende Aktienkurse – und die alltägliche Schlange in der Firmenkantine.

             

Buch: Klaus Reichold
Regie: Thomas Endl
Kamera: Paul Schmidt, Stefan Gessl
Schnitt: Katharina Meitzner
 

Erstsendung am 05.10.09
im Bayerischen Fernsehen
Länge: 30 Minuten

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