Als ›gewaltigen, länderdurchbrausenden Strom‹ haben Dichter die Elbe besungen – als eine dem Rhein und der Donau ebenbürtige Lebensader Mitteleuropas. Allerdings war der Blick auf diese geographische Tatsache jahrzehntelang verstellt. Erst seit der Öffnung des ›Eisernen Vorhanges‹ wird der über tausend Kilometer lange Fluß wieder als völkerverbindendes Ganzes wahrgenommen, als gemeinsames Erbe von Deutschen und Tschechen, als symbolträchtiger Strom, an dessen Ufern sich herausragende Schauplätze deutscher und böhmischer Geschichte wie Perlen an einer Kette aneinanderreihen.  

Schon im Quellgebiet der Elbe, die auf tschechisch ›Labe‹ heißt, wird deutlich, wie eng die Wurzeln deutscher und tschechischer Kultur ineinander verschlungen sind. Denn an der Wiege des drittgrößten Flusses Mitteleuropas steht eine Spukgestalt, die in den Sagen beider Nationen bis heute gegenwärtig ist: Rübezahl, der ›Hüter des Goldes‹. Er soll einst über die reichen Bodenschätze des Riesengebirges gewacht haben – offenbar aber mit wenig Erfolg: Die Hänge und Täler im Schatten der Schneekoppe, seit der Zeit um 1900 ein beliebtes Urlaubsziel, wurden regelrecht ausgeschlachtet.  

Rund um Spindleruv Mlýn (Spindlermühle) plünderten Schatzsucher die Gold- und Edelsteinvorkommen, und Holzfäller rodeten ganze Bergwälder, um die Baumstämme elbabwärts zu flößen. Als Brennmaterial wurden sie beispielsweise in den Eisenschmieden von Vrchlabí (Hohenelbe) verfeuert, wo Wallenstein – der berühmte Generalissimus des Dreißigjährigen Krieges – die Rüstungen für seine Truppen fertigen ließ. Die Wasserkraft der Elbe, die die schweren Schmiedehämmer antrieb, war gefürchtet. Bei Dvur Králové, dem früheren Königinhof, errichtete man deshalb eine gewaltige Talsperre. Eine Hochwasserkatastrophe wie jene, bei der die Elbe im einst so glanzvollen Badeort Kukus (Kuks) einen Großteil der barocken Anlagen und Prunkbauten hinwegspülte, sollte sich nicht wiederholen. Selbst Königgrätz, das heutige Hradec Králové, blieb früher nicht verschont.  

Erst vor hundert Jahren wurde hier der Fluß gezähmt. In der Folge entstand am Elbufer eines der ersten Stromkraftwerke des Landes – und ein neues Stadtviertel im Stil der beginnenden Moderne. Königgrätz wurde zum ›Salon der Republik‹, zu dessen internationalem Ruhm die Klavierfabrik Petrof beitrug, die seit dem Ende des Kommunismus wieder von Familienmitgliedern geleitet wird. Im Goldenen Bogen, der Kornkammer Böhmens, stoßen wir aber auch auf den Schauplatz der ›Schlacht von Königgrätz‹, bei der am 3. Juli 1866 Zehntausende junger Soldaten ihr Leben lassen mussten. Das Wasser der Elbe soll an jenem Tag rot gefärbt gewesen sein vom Blut der Menschen und Pferde. Erquicklicher ist es da, den Blick elbabwärts zu wenden – nach Pardubice (Pardubitz), eine der schönsten Städte in Böhmen. »Es glänzt wie Pardubitz« lautet ein altes Sprichwort. Die einstigen Stadtherren ließen entlang der Elbe 230 Fischteiche anlegen und zahlreiche Kanäle graben, die das Pardubitzer Land zu einer der fruchtbarsten Gegenden Böhmens machten.  

Zu den idyllischsten Flecken zählt Kladruby nad Labem (Kladrub an der Elbe) – das ältestes Gestüt der Welt. Die Kutschpferde, die hier gezüchtet werden, tun ihren Dienst an allen Fürstenhöfen Europas. Kutná Hora, das frühere Kuttenberg, ist die letzte Station dieser Reise entlang der böhmischen Elbe. Als Hochburg des Silberbergbaus, Sitz der königlichen Münze und zeitweilige Königsresidenz galt Kuttenberg nach Prag jahrhundertelang als bedeutendste Metropole des Landes, wovon bis heute das eindrucksvolle Stadtbild zeugt. Freilich – auch die Vergänglichkeit alles Irdischen ist hier gegenwärtig: In der Krypta der Friedhofskirche von Sedlec (Sedletz), vor den Toren der Stadt, sind die Gebeine von über 40 000 Menschen zu Kreuzen, Monstranzen, Wappen, Lüstern und dekorativen Gehängen drapiert.  

Doch nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern das Leben: Die Elbe ist noch jung, wenn sie den Goldenen Bogen verläßt. Und ihr weiterer Weg ist voller Verheißungen.

 

Buch: Klaus Reichold
Regie: Thomas Endl
Kamera: Detlef Krüger
Schnitt: Angelika Brockt
Kameraassistenz: Nicole Christmann
             

Erstsendung am 21.10.2003
in der Reihe Bilder einer Landschaft
im Bayerischen Fernsehen
Länge: 45 Minuten

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