Durch Land und Zeit
Mit den Histonauten unterwegs

Die "Schöne Leich'" als Krönung des Lebenslaufs
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von Klaus Reichold




Foto: Thomas Endl

Mit fünf Jahren wollte ich Leichenwagenfahrer werden. Ich träumte von einem schwarzpolierten Mercedes Benz Adenauer mit sonorem Sechszylinder, italienischem Aufbau, barocken Leuchten an den Dachholmen, goldreliefierten Totenschädeln an Fahrer- und Beifahrertür sowie zwei prallen Putti samt Kreuz als Dachzier. Die Vorstellung, mein Leben am Steuer eines solchen Vehikels zuzubringen, beherrschte mich meine halbe Jugend lang. Ich wäre der berühmteste Leichenwagenfahrer aller Zeiten geworden, vergleichbar nur noch mit Franz Beckenbauer, Alexander Dobrindt und Florian Silbereisen.

Ich malte mir schon aus, Tausende von Autogrammkarten signieren zu müssen – bis mich der Verdacht beschlich, ich sei nicht ganz normal. Ich erwog, eine Kinderpsychologin aufzusuchen. Dann aber entdeckte ich zu meiner Verwunderung, dass auch meine Cousins weder Lokomotivführer noch Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München werden wollten, sondern ebenfalls Leichenwagenfahrer. Wie ich sammelten sie heimlich Sterbebildchen und konnten sämtliche Totengesänge auswendig – von „O Welt, ich muss dich lassen“ über „So nimm denn meine Hände“ bis „Wir sind nur Gast auf Erden“. Wir waren uns einig, dass eine zünftige Beerdigung mit Blasmusik, Fahnenabordnungen, Glockengeläut und Böllerschüssen zu den Höhepunkten des weißblauen Alltags zählt. Außerdem verband uns die Überzeugung, dass ein opulenter Leichenschmaus die erhabenste Art gemeinsamen Tafelns darstellt und ohne anschließende Rauferei nur eine halbe Sache ist. Kurz: Wir betrachteten eine „Schöne Leich’“ übereinstimmend als Krönung des bayerischen Lebenslaufs.

Wir wussten auch, wem wir die mortale Disposition zu verdanken hatten: unserer lebenslustigen Großmama. Sie sah dem Unausweichlichen immer auf sehr bayerische Weise ins Auge. „Umsonst is’ der Tod – und der kost’s Leb’n“, sagte sie gern, um anzufügen, sie sei inzwischen 99 und der Ansicht, „a Kua in dem Alter hätt’ ma’ längst g’schlacht“. Das erste bayerische Wort, das sie ihrer aus dem Badischen zugezogenen Schwiegertochter beibrachte, lautete „Boandlkramer“. Ihr Leib- und Magenstück war natürlich „Der Brandner Kaspar“, obwohl sie hinsichtlich der Lebensverlängerung weniger auf den Kirschgeist und das Watten setzte als auf „Mensch-ärgere-dich nicht“ und drei Kannen Pfefferminztee täglich.

Foto: Thomas Endl

Mit unermüdlicher Hingabe pflegte sie die Gräber der gesamten Verwandtschaft. Und früher, als man die Särge noch offen aufbahrte, besuchte sie mit uns alle Leichenschauhäuser der großen, städtischen Friedhöfe. Ob die Sargwäsche aus Baumwolle war, aus Damast oder Atlas, erkannten wir auf den ersten Blick. Erst recht fiel uns Papier ins Auge – selbst dann, wenn man es gerüscht oder mit Stoffspitze besetzt hatte, um den Tatbestand zu kaschieren, dass sich die Angehörigen nichts Besseres leisten wollten. Außerdem erfuhren wir, dass die Verstorbenen vor der Aufbahrung gewaschen, frisch eingekleidet, frisiert, und nicht selten geschminkt wurden. Seither war uns klar, warum manche Hingeschiedene wie das blühende Leben aussahen, obwohl man annehmen musste, dass Ereignisse, die zumindest mittelfristig zum Tode führen – etwa ein längerer Aufenthalt im Rechen eines Isar-Stauwehrs – einer properen Erscheinung doch eher abträglich sind. Manchmal, so erklärte uns die Großmama, werde aber auch geschummelt. Bei den Männern zum Beispiel, die traditionell im Hochzeitsanzug beigesetzt wurden, war es in der Regel unerlässlich, das längst zu eng gewordene „Sakkl“ hinten der Länge nach aufzuschneiden, um es vorne zuknöpfen zu können.

Unsere Großmama wäre zweifellos eine perfekte Bestatterin geworden, zumal sie sich natürlich auch mit Särgen auskannte. Kiefer, unbehandelt, lehnte sie ab. Lärche ging gerade noch. Eiche war schon besser, Mahagoni konnte sich sehen lassen. Ins Schwärmen geriet sie, wenn wir vor einem Sarg standen, der mit mehreren Schichten schwarzen, hochglänzenden Klavierlacks überzogen war und einen auf Kopf- und Brusthöhe des Toten separat zu öffnenden Deckel besaß.

Foto: Thomas Endl

Nachdem wir alle Münchner Leichenschauhäuser am Muster der Bodenfliesen zu unterscheiden gelernt hatten, klapperte sie mit uns sämtliche Grüfte und Grablegen der Wittelsbacher ab. Denn sie wollte uns auch mit der gehobenen Funeralkunst, also mit den aufwendig gearbeiteten und üppig verzierten Tumben, Grabplatten und Prunksarkophagen der bayerischen Herrscherdynastie vertraut machen. Als einfache Frau aus dem Volke, die im Alter von vierzehn Jahren ihre erste Stelle als Dienstmädchen angetreten hatte, blieb es nicht aus, dass ihr bei diesem Unterfangen der eine oder andere Irrtum unterlief. So verwechselte sie schon einmal Herzogin Maria Anna von Bayern (1722-1790) mit Herzogin Maria Anna in Bayern (1753-1824) oder, wenn es ganz dumm lief, Herzog Ludwig den Bärtigen (1365-1447) mit Herzog Ludwig dem Buckligen (1403-1445).

Illustration: Rosemarie Zacher

Niemand aber machte ihr etwas vor, wenn es darum ging, wann und wie die jeweiligen Herrschaften einst aus dem Leben geschieden waren. Unser Lieblingsdrama handelte von der bayerischen Herzogin Maria von Brabant, deren schreckliches Ende am 18. Januar 1256 kurz nach Mitternacht auf Burg Mangoldstein bei Donauwörth seinen Lauf genommen hatte. Wieder und wieder musste uns die Großmama schildern, wie Marias Gatte, Herzog Ludwig II. von Bayern, im Irrglauben, seine Frau habe ihn betrogen, Amok lief: Er meuchelte den Burgvogt, der sich ihm den Weg stellte, stieß dann eine Kammerzofe, die die Herzogin warnen wollte, über des Turmes Zinnen in den Abgrund, und wandte sich anschließend, von ebenso rasender wie unbegründeter Eifersucht getrieben, dem eigentlichen Ziel seines Furors zu: seiner völlig ahnungslosen Frau, eben Maria von Brabant. Er enthauptete sie mit einem entschlossen geführten Schwertstreich, wofür er bis heute „der Strenge“ genannt wird. Die blutige Folge finaler fürstlicher Fehlentscheidungen, die auch dadurch nicht mehr aus der Welt zu schaffen waren, dass Herzog Ludwig seine Tat augenblicklich bereute und der hässlich Zugerichteten aufgrund ihrer erwiesenen Unschuld eine um so Schönere Leich’ ausrichten ließ, faszinierte uns nachhaltig.

In ähnlicher Weise hingen wir an den Lippen unserer Großmama, wenn wir mit ihr vor dem Sarkophag Maximilians II. in der Münchner Theatinerkirche innehielten und erfuhren, dass dieser merkwürdig blutleere König im Obergeschoß der nahen Residenz ein Geheimkabinett besessen hatte, in das er allabendlich über eine hinter Tapetentüren verborgene Wendeltreppe hinaufstieg. Niemandem, so heißt es, sei es erlaubt gewesen, ihm zu folgen. Denn inmitten des düsteren, kapellenähnlichen Gemachs stand angeblich sein bevorzugtes „Memento mori“: der aus Marmor gehauene Sarkophag, in dem er heute beigesetzt ist. In selbigem soll der König hin und wieder genächtigt haben – zur Beförderung seiner Bußfertigkeit, wie die Großmama erläuterte. Das schien uns Enkeln reichlich exzentrisch. Wir diskutierten, ob die verschwiegene Leidenschaft Maximilians II. nicht auch einen anderen Grund gehabt haben könnte – etwa eine bisher nicht belegte, aber durchaus denkbare Verwandtschaft der Wittelsbacher mit dem transylvanischen Herrschergeschlecht, aus dem Vlad III. mit dem Beinamen „der Pfähler“ stammte. Gegen diese Theorie spricht, dass Vlad III. angeblich eher die Tage als die Nächte in seinem Sarg zu verbringen pflegte. Außerdem gab es laut der Großmama keinerlei Hinweise, wonach Maximilian II. als Vampir sein Unwesen treibe. Im Gegenteil, seit seinem ebenso frühen wie unerwarteten Tod am 10. März 1864 habe man überhaupt nichts mehr von ihm gehört – außer, dass niemand wisse, woran er wirklich gestorben sei. Die Akten des Hofes sprächen von „Hitzblattern“, die medizinischen Gutachten von einer „rasch sich ausbreitenden Rotlauferkrankung in der Brust“. Die Münchner Gerüchteküche dagegen wollte wissen, Maximilian II. sei vergiftet worden. Uns überzeugte keine der drei Theorien. Uns schien am wahrscheinlichsten, dass der König an einer galoppierenden Prostatitis starb, die er sich beim häufigen Probeliegen in seinem marmorkühlen Sarkophag zuzog.

Von seinem Sohn, Ludwig II., ist nichts Vergleichbares bekannt. Allerdings umweht auch ihn ein Geheimnis: Warum soll ausgerechnet er, ein ausgezeichneter Schwimmer, im Starnberger See ertrunken sein – noch dazu an einer Stelle, die kaum eineinhalb Meter tief ist? Kein Wunder, dass so viele Legenden entstanden, die genau wissen wollen, was sich in jener regnerischen Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1886 wirklich zugetragen hat. Unsere königstreue Großmama kannte sie alle. Noch in ihren letzten Lebensjahren verlor sie Farbe und Fassung, sobald sich der Ausflugsdampfer bei Schloss Berg jenem schlichten Holzkreuz näherte, das an den Tod des Märchenkönigs erinnert. Anschließend stimmte sie jedes Mal mit brüchiger Stimme jene Strophe des König-Ludwig-Liedes an, in deren Rhythmus bayerische Köchinnen schon seit über hundert Jahren Knödel reiben oder die Einbrenn’ anrühren: „Und geheime Meuchelmörder, / deren Namen man nicht kennt, / haben’s ihn in’ See neig’steß’n, / indem sie ihn von hinten angerennt.“

Freilich, nichts Gewisses weiß man nicht. Aber ein Gutes hatte es ja auch, dass Ludwig II. mit noch nicht einmal 41 Jahren vergleichsweise jung das Zeitliche segnete: Endlich erlebte das dem funebren Pomp schon nahezu entwöhnte München wieder ein Staatsbegräbnis, das keinerlei Wünsche offen ließ. Von der Alten Residenzkapelle, wo der tote König in den drei Tagen zuvor auf dem „Paradebett“ aufgebahrt war, bewegte sich der Leichenzug am 19. Juni 1886, einem Samstag, unter dumpfem Trommelwirbel und dem Geläut aller Glocken der Stadt über die Brienner Straße, den Karolinenplatz, die Arcis- und die Sophienstraße, den Karlsplatz und die Neuhauserstraße nach St. Michael. Die Geschäfte waren geschlossen, an den Fassaden der Häuser flatterten schwarze Fahnen. „Behufs Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit während der Allerhöchsten Leichenfeier“ hatte man „in den Straßen, welche der Kondukt berührt“, sogar das Rauchen verboten. Außerdem war „das Besteigen von Bauten, Baugerüsten, Leitern, Einfriedungen und Dachungen“ untersagt – woran sich natürlich kein Mensch hielt. Den Zug selbst führte die Livrée-Dienerschaft des Münchner Adels an. Ihnen folgten die Bruderschaften mit ihren Fahnen, die Schüler und Lehrer der königlichen Kreisrealschule, sämtliche Gymnasien, die klösterlichen Orden, die Hofbeamten mit der Hofmusik in Uniform, der Stadtklerus, die Angehörigen des königlichen Kollegiatstifts St. Kajetan mit Vokalmusik, die Oberhirten von Bamberg, Eichstätt, Passau, Regensburg und Würzburg, der Münchner Erzbischof und das Domkapitel, 25 schwarzvermummte Gugelmänner und der königliche Kammerdiener mit den Leibärzten. Dahinter kam der von acht Pferden gezogene, mit Kränzen geschmückte Hoftrauerwagen, der von Georgirittern, königlichen Edelknaben, Hartschieren, Kammerherren, General- und Flügeladjutanten flankiert wurde. „Um 2 Uhr 30 Minuten wurde der Sarg an der Michaelskirche vom Stiftsdekan und der Hofgeistlichkeit empfangen“, meldete das Bayerische Vaterland in seiner Ausgabe vom 22. Juni 1886. Der Berichterstatter schilderte auch die kaum zu übertreffende Krönung des Spektakels – ein Ereignis von symbolischer Aussagekraft, das in unseren Augen nur bedeuten konnte, dass beim jähen Tod des Märchenkönigs tatsächlich jemand nachgeholfen hatte: „Während der Sarg in die Kirche gebracht, nach Absingung der Vigil in einen zweiten gelegt, vom Minister des königlichen Hauses versiegelt und der Gruft übergeben wurde, sammelte sich schwarzes Gewölk über der Innenstadt. Als die Zeremonie zu ihrem Ende kam, fuhr zum Schrecken der Menge eine mächtige Feuergarbe, ein Blitz auf die Michaelskirche herab, dem ein entsetzlicher Donnerschlag folgte. Das war das himmlische Finale zu dem irdischen Trauerakte.“

Unsere Großmama hatte den Zeitungsbericht aus jenen Tagen und eine vergilbte Postkarte, die den nächtlichen Transport der königlichen Leiche von Schloss Berg nach München zeigte, in ein Album eingeklebt. In dieser schwarz eingebundenen Kladde stießen wir auch auf Photos von der Beerdigung des Malerfürsten Franz von Lenbach im Münchner Westfriedhof – und auf einen Artikel über die Beisetzung der 16-jährigen „Amazone“ Cula, die aus dem westafrikanischen Dahomey stammte, im November 1892 während eines Gastspiels ihrer exotischen Truppe „den verderblichen Einflüssen des nördlichen Klimas“ erlegen war und im Alten Südlichen Friedhof ihre letzte Ruhe fand. Die aufgebahrte Leiche der dunkelhäutigen Schönheit, „angetan mit dem schmucken Kriegskostüm, das weiße Käppi auf den schwarzen Locken und die Patronentasche mit dem Totenkopf um die Hüfte geschnallt“ hatte zuvor den Auflauf Zehntausender verursacht. Denn die halbe Stadt wollte den „wahrhaft befremdenden“ Kontrast zwischen der „kriegerischen Weibsperson“ aus Afrika und den neben ihr aufgebahrten Toten Münchner Provenienz, die mit wachsbleichen Gesichtern in ihren Särgen lagen, mit eigenen Augen sehen.

Foto: Thomas Endl

Dass unsere Großmama solcherlei Berichte zu Dutzenden sammelte, musste mit ihrer Vergangenheit zu tun haben. Jedenfalls hatte sie im Dezember 1912, als Blumenmädchen aus dem Volke, an den Beisetzungsfeierlichkeiten für Prinzregent Luitpold teilgenommen – an der Seite des deutschen Kaisers, des österreichischen Kaisers und des Grafen Ferdinand von Zeppelin. Seither vertrat sie unsere Familie jedes Mal, sobald irgendjemand von Prominenz „ei’grab’n“ wurde, wie sie zu sagen pflegte: 1921 folgte sie den Särgen des letzten bayerischen Königspaares, 1934 begleitete sie den Leichenzug Oskar von Millers, 1955 erwies sie Kronprinz Rupprecht die letzte Ehre. Und als 1959 ihr heimlicher Schwarm Beni Trinkgeld, der legendäre Berufsringer, im Nordfriedhof zur ewigen Ruhe gebettet wurde, konnte sie vor lauter Tränen kaum aus den Augen schauen. Aus reiner Neugier, welch’ schillernde Gestalten sich unter den Gästen tummeln würden, schlich sie sich 1967 im Ostfriedhof bei der Trauerfeier für die Diseuse Mary Irber ein, die schon mit 16 Jahren als „Barfußtänzerin“ von sich reden gemacht hatte. Und natürlich ließ sie sich 1993 das funebrale Spektakel um Else Moshammer nicht entgehen, obwohl sie deren lilafarbenes Haupthaar nie hatte leiden können. Dennoch fand sie das Ereignis „einmalig“: die Aufbahrung des Sarges in der Theatinerkirche, der Autokorso zum Modegeschäft in der Maximilianstraße, die Überführung zur Aussegnungshalle des Ostfriedhofs, schließlich die Beisetzung in der mit Pylonen geschmückten Gruft ganz in der Nähe der Ehrengräber von Thomas Wimmer und Peter Kreuder – einfach „einmalig“.

Uns Enkel hatte sie damit irgendwann angesteckt – wobei uns die Vorstellung, an solchen Feierlichkeiten teilzunehmen, bald nicht mehr ausreichte. Nachdem wir jahrelang vom Leichenwagenfahren geträumt hatten, wurden wir maßlos und hielten es – ganz im Gegensatz zur Bescheidenheit unserer Großmama – mehr und mehr für erstrebenswert, nach unserem Tod selber mit „Pomp & Circumstance“ zu Grabe getragen zu werden.

Da aber tat sich ein Problem auf: Eine „Schöne Leich’“ setzt bekanntermaßen eine gewisse Prominenz voraus. Doch wer waren wir schon? In unseren Adern floss kein blaues Blut, wir würden – mangels naturwissenschaftlichen Sachverstandes – keine bahnbrechenden Entdeckungen machen. Und ein Dasein als Barfußtänzerin schied in meinem Fall ebenso aus wie das eines Berufsringers. Deshalb beschloss ich, Papst zu werden. Dabei dachte ich in erster Linie an den Prunk der zu erwartenden Beerdigungsfeierlichkeiten: In welchem anderen Amt der Welt würden mir im Falle meines Todes derart pompöse Exequien zuteil – mit einer Aufbahrung unter der von Michelangelo entworfenen Kuppel des Petersdomes, mit Heerscharen purpurgewandeter Kardinäle, die das Requiem zelebrieren würden, mit einem kilometerlangen Leichenzug unter dem Geläut der Glocken von Rom, mit der Beisetzung an der Seite des heiligen Petrus, mit einem Leichenschmaus in den weitläufigen Raumfluchten des vatikanischen Palastes – und nicht zuletzt: mit einer Sondermarke der Vatikanpost?

Foto: Thomas Endl

Weil für den künftigen Stellvertreter Christi auf Erden eine solide liturgische Grundausbildung unabdingbar ist, meldete ich mich bei den Ministranten an. Bei jeder Totenmesse stand ich am Altar – und umso feierlicher die anschließende Beisetzung ausfiel, umso größer war mein Glück. Am ergreifendsten fand ich es, wenn der Leichenzug nicht den kürzesten Weg von der Kirche zum Friedhof nahm, sondern mitten durchs Dorf führte, so dass die Feuerwehr die Straßen sperren musste. Das schien auch den Mitgliedern der örtlichen Blaskapelle entgegenzukommen. Wann sonst konnten sie ihr reichhaltiges Repertoire an Trauermärschen, von denen einige so klangen, als seien sie für Mafia-Filme der frühen 1950-er Jahre komponiert worden, bis zum Letzten ausschöpfen? Am Friedhof angekommen, wuchs die Spannung: Würde der Pfarrer, den eine größere Menschenmenge verunsicherte, den zu singenden Ritus „Ins Paradiese mögen Engel dich geleiten“ ohne Stolpern meistern? Würde der Mesner rechtzeitig mit dem Läuten der blechernen Totenglocke beginnen? Würde am Grab das beeindruckende Trauergerüst mit Kruzifix und goldenen Kordeln aufgebaut sein? Würde der außerhalb des Friedhofs wartende Böllerschütze punktgenau beim Hinablassen des Sarges die Leine seiner Kanone ziehen? Würden die Blasmusiker trotz des apokalyptischen Getöses den Einsatz zum „Bayerischen Präsentiermarsch“ hinbekommen? Vor allem aber: Würde der Bürgermeister diesmal eine andere Trauerrede halten als bei den 127 Beerdigungen verdienter Bürger, die er bereits hinter sich gebracht hatte – oder würde es wieder dieselbe sein?

Ich war inzwischen Oberministrant, als Franz Josef Strauß am 3. Oktober 1988 in Regensburg starb. Rasch sprach sich herum, dass seine Beerdigung alles in den Schatten stellen würde, was in den Jahrzehnten zuvor an Totenbegängnissen südlich der Donau geboten worden war. Ich muss gestehen: Ich konnte es kaum erwarten. Längst hatte ich mich mit der Tatsache abgefunden, dass Bayern keine Monarchie mehr war und pompöse Leichenzüge wie weiland bei Ludwig II. endgültig der Vergangenheit angehörten. Jetzt aber schien mit einem Mal vorstellbar, dass die guten, alten Zeiten wieder aufleben würden. Und tatsächlich: Ich wurde nicht enttäuscht. 1.400 Gebirgsschützen mit Äxten, Säbeln und geschulterten Stutzen, mit bunten Spielhahnfedern und Blumengestecken am Hut waren bis aus Südtirol angereist, um dem bayerischen Landesvater das Geleit zu geben. Sechs Pferde mit schwarzen Schabracken zogen die Lafette mit dem Sarg, der unter einem üppigen Bukett aus weißen Rosen, Gerbera und Anthurien kaum noch auszumachen war. Studenten in voller Wichs, Fechter in weißen Anzügen, Trachtlerinnen mit goldbestickten Hauben bildeten das Spalier. Außerdem erwiesen rund 30.000 Zaungäste dem dahingeschiedenen Ministerpräsidenten die letzte Ehre. Am Siegestor, dessen Bögen mit schwarzem Flor verhängt waren, teilten sich die Musikzüge der Bundeswehr und der Polizei. Als die Lafette heranrollte, öffneten sich die Stoffbahnen wie ein Theatervorhang. Und nach einem letzten Trommelwirbel entschwand der Sarg durch den Hauptbogen in die Abenddämmerung, während die Glocken der Ludwigskirche ernst und feierlich zu läuten begannen.

Ich verfolgte die Szene vom Geschwister-Scholl-Platz aus und war überwältigt. Noch am selben Abend warf ich meine Berufsplanung ein zweites Mal über den Haufen. Papst zu werden, um nach meinem Ableben unter der Kuppel Michelangelos aufgebahrt, von zahllosen purpurgewandeten Kardinälen eingesegnet und unter dem Geläut der Glocken von Rom in den Katakomben des Petersdomes beigesetzt zu werden, mag eine feine Sache sein. Aber: Die Vorstellung, auf dem Weg in die Ewigkeit von Gebirgsschützen und Trachtlerinnen begleitet die prachtvolle Ludwigstraße entlanggefahren zu werden, ist noch viel schöner.

Jetzt will ich also bayerischer Ministerpräsident werden. Das richtige Parteibuch habe ich mir inzwischen zugelegt. Ich bin auch schon Mitglied im Katholischen Männerverein Tuntenhausen und studiere aufmerksam die Beschlüsse der Klausurtagungen von Banz, Seeon und Wildbad Kreuth. Wenn ich dann tatsächlich im Amt bin, hoffe ich, dass es mich mitten aus einer Legislaturperiode herausreißt. Denn dann kommen auch die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident – und mit viel Glück sogar, aus seiner Villa in Tutzing oder seinem Grand-Hotel in Garmisch, der König von Thailand. Es geht einfach nix über eine „Schöne Leich’“!

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