Das romantische Sommerschloss der Eltern vor der Kulisse der Ammergauer Alpen präsentiert sich noch heute als Schatzkammer des mythentrunkenen Historismus. Die Wandgemälde schildern historisch belegte Ereignisse, illustrieren aber auch märchenhafte Überlieferungen von Minnesängern und Kreuzrittern, Elfen und Riesen, müden Helden und starken Frauen. Für den kleinen Ludwig waren die Bilder großes Kino. Sie erlaubten ihm Zeitreisen in ferne Zeiten und Kulturen. Ohne Hohenschwangau ist sein späterer Eskapismus nicht zu erklären.
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Der 18-jährige Ludwig galt laut eines Zeitzeugen als „Idealgestalt des jungen, königlichen Adonis, dessen berückende Schönheit Tausende von Frauenherzen … mit magischer Kraft erglühen ließ“. Wo sich der jugendliche Monarch zeigte, fielen die Damen reihenweise in Ohnmacht. Waschkörbeweise trafen Liebesbriefe in der Münchner Residenz ein. Doch der König gab sich spröde. Eine Schauspielerin, die bereits bis in sein Appartement vorgedrungen war, ließ er umgehend „verabschieden und die Luft mittels einer großen Räucherpfanne reinigen“.
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Schon Anfang Dezember 1865 gab der königliche Oberstallmeister Lerchenfeld vor der Münchner Staatsanwaltschaft zu Protokoll, im Marstall gehe das Gerücht um, „Seine Majestät sei ein Spinatstecher … und stehe in unerlaubtem Umgang mit Männern“. Zu Ludwigs frühen Favoriten zählte sein Flügeladjutant Paul von Thurn und Taxis, der auf einem Pferd stehend die Roseninsel umrundete. Im kleinen Kreis äußerte sich Ludwig II. erstaunlich freimütig zu seiner Neigung. Trotzdem wurde sie 1886 zu einer zentralen Begründung für seine Absetzung.
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Es ist nicht so, dass der Märchenkönig unter „akuter Wohnungsnot“ (Hans F. Nöhbauer) gelitten hätte: In der Würzburger Residenz waren die „Toskana-Zimmer“ für ihn reserviert, auf der Kaiserburg zu Nürnberg das „Königs-Appartement“ und auf der Trausnitz eine Raumfolge im altdeutschen Stil. Doch Ludwig wollte mehr. In Linderhof ließ er bewohnbare Bühnenbilder aus Wagner-Opern nachbauen. Und auf der Burg Falkenstein, die nicht mehr realisiert wurde, plante er ein fast dreihundert Quadratmeter großes, von einer riesigen Kuppel überwölbtes Schlafzimmer.
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Die Bauern im Graswangtal staunten nicht schlecht, als eines Tages am Hennenkopf ein Maurischer Kiosk mit goldener Kuppel und vier Minaretttürmen aufgestellt wurde. Wenig später kam ein Marokkanisches Haus auf der Stockalpe dazu. Dort ließ sich Ludwig II. regelmäßig Pyramidenbowle und Datteltörtchen servieren. Zugegeben: Der Orientalismus war eine verbreitete Modeerscheinung des 19. Jahrhunderts. Aber dass sich der Märchenkönig mit dem Gedanken trug, seinen Regierungssitz von München nach Kabul zu verlegen, ging dem Hofsekretär dann doch zu weit.
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Ein goldstrotzender Hofzug, der als „rollendes Versailles“ in die Geschichte eingegangen ist; eine Prachtkarosse, die beim Lenken derart schaukelte, „daß es die Insassen zu schwindeln begann, und sie so unbemerkt wie möglich die Wagengurten als Rettungsanker ergriffen“; außerdem ein puttenverzierter Schlitten, der mit seiner elektrisch beleuchteten Krone den Ruf des „Märchenkönigs“ begründete – der Fuhrpark Ludwigs II. konnte sich sehen lassen. Unerfüllt blieb hingegen sein Wunsch, mit einem lenkbaren Luftschiff nach Berlin zu reisen.
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Die Obduktion des Märchenkönigs offenbarte sein dentales Desaster: „Der Oberkiefer fast zahnlos, im Unterkiefer noch 4 Schneide- und 2 Eckzähne“. Geschuldet war dieser Zustand seiner Lust auf Süßes. Kein Abendessen endete ohne Strudel, Savarin oder Pralinés. Außerdem liebte Seine Majestät römischen Eispunsch und Waldmeisterbowle. In der Folge wurden die Garzeiten der Gerichte immer länger: Die geliebte Ochsenbrust musste mindestens vier Stunden gekocht werden, bevor sie auf den Tisch kam. „Krustaden“ durften überhaupt nicht mehr serviert werden.
Tassen in den bayerischen Farben, Teller mit Ansichten aus dem bayerischen Gebirge, dazu Bücher, Photographien, Uhren und Colliers – jedes Jahr bestellte Ludwig II. für die Seinen eine Unmenge von Weihnachtsgeschenken. Gelegentlich ging er sogar selber los, „besuchte eine Anzahl Läden und machte wahrhaft königliche Einkäufe, so dass seine Gemächer bald prunkenden Barken glichen“. In den letzten Jahren seines Lebens soll er durchschnittlich 300.000 Mark für Weihnachtsgeschenke ausgegeben haben – nach heutiger Währung etwa drei Millionen Euro.
Wir hören den Donner von 101 Salutschüssen über Schloss und Park hinwegrollen, lassen den Herrn Erzbischof ein Te Deum anstimmen und erleben den Kronprinz als Klosterschwester. Außerdem begegnen wir allerlei Schönheiten aus dem Reich der Einhufer. Mit der gebotenen Diskretion beobachten wir, wie der reifere Märchenkönig unter „vollen Segeln auf den Liebeswogen“ unterwegs ist, und staunen über das vermutlich erste elektrisch beleuchtete Fahrzeug der Welt. Eine imaginäre Reise führt uns schließlich ins tief verschneite Ammergebirge.
Wir sitzen mit Seiner Majestät am Frühstückstisch, sehen Damen der Münchner Gesellschaft reihenweise in Ohnmacht fallen und hören von einer Tapetentür, die ins Reich von Tausendundeiner Nacht führt. Außerdem imaginieren wir uns den Hofschauspiel-Direktor in der Rolle des „Tyranns von Padua“ und durchstreifen einen mit unzähligen „Wachslichtern“ erleuchteten Winterwald. Sollte uns das Glück hold sein, begrüßen wir anschließend einen Herrn, der über seinen eigenen Bart stolpert, und entgehen knapp einem Anschlag sozialistischer Attentäter.
Wir wandeln durch die stockfinsteren Gänge der Residenz, begegnen einem großen, eisernen Ofen und hören die Turmuhr der Theatinerkirche dreizehn Mal schlagen. Anschließend werden wir Zeugen des mysteriösen Ablebens Seiner Majestät und begleiten den nächtlichen Zug der märchenköniglichen Leiche nach München. Bei der Obduktion Ludwigs II. wird uns das wahre Ausmaß seines dentalen Desasters bewusst. Über sonstige Details verraten wir nichts, weil uns der apokalyptisch anmutende Blitzschlag am Ende der allerhöchsten Leichenfeier zur Verschwiegenheit mahnt.
Da Ludwig II. von Bayern am 10. März 2014 sein 150. Thronjubiläum feiert, eilen wir an diesem Tag auf seinen Spuren ins östliche Allgäu. Wir lernen Roßknechte und Posthalter kennen, begegnen einem Drachen mit alemannischem Zungenschlag und schauen dem Tod beim Gesellschaftstanz zu. Anschließend besuchen wir eine märchenkönigliche Modenschau und hören, was Ludwig II. und Lady Di gemeinsam haben.
Dr. Michael Meuer macht uns im Kloster St. Mang (u.a. „Füssener Totentanz“) und in der Heiliggeist-Kirche mit heidnischen Dämonen, mittelalterlichen Spitalern und barocken Fürstäbten bekannt. PD Dr. Luitgard Löw, die Direktorin des Museums der Bayerischen Könige, lädt ein zum Sektempfang und stellt uns mit ihrem Team die wichtigsten Exponate des Hauses vor. Klaus Reichold spricht im Palmenhaus des Museums zum Thema „Der König lebt! – Wie es Ludwig II. gelungen ist, zum Mythos zu werden“. Und Thomas Endl wiegt uns mit einer königlichen Gute-Nacht-Geschichte in den wohlverdienten Schlaf.